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Weder voreilig, noch verfassungswidrig

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von TIMO SCHWANDER

foto_sw_timoIn seinem Beitrag auf diesem Blog erhebt Matthias Friehe gewichtige Einwände gegen die Einführung der „Ehe für alle“. Weder sei das eilige Gesetzgebungsverfahren der Sache angemessen, noch stehe dem Gesetzgeber eine derartig grundlegende Erweiterung und Neudefinition der Ehe offen. Doch die Verantwortung für die Eile tragen diejenigen, die den Gesetzentwurf der Opposition und des Bundesrates jahrelang verschleppten. Auch inhaltlich können die Einwände letztlich nicht überzeugen – die Einführung eines Rechts auf gleichgeschlechtliche Eheschließung steht mit dem Grundgesetz in Einklang.

Unwürdiges Verfahren?

Seit dem vergangenen Freitag kann man wieder einmal schön beobachten, wie die Wahrnehmung ein und desselben Sachverhalts auseinandergehen kann: Nachdem der Bundestag den Gesetzentwurf des Bundesrates zur „Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts“ in einer knappen Dreiviertelstunde durchdebattiert und anschließend mehrheitlich gebilligt hatte, war die Empörung in Teilen der Unionsfraktion und der Presse groß. „Unwürdig“ sei das Verfahren, so Seehofer und Scheuer. Von einem „Schweinsgalopp“ spricht Singhammer.

Wie bitte? Der Gesetzentwurf, um den es geht, datiert von 2015. Ein weiterer mit weitgehend gleichem Inhalt schlummert seit 2013 im Parlament. Die drei Entwürfe waren Gegenstand einer divers aufgestellten Expertenanhörung im Justizausschuss. Eine Debatte und Abstimmung im Plenum wurde indes durch die Blockadehaltung der Großen Koalition – namentlich insbesondere der CDU/CSU, die als einzige im Bundestag vertretene Partei die die gleichgeschlechtliche Ehe nach wie vor mehrheitlich ablehnt, ihren Abgeordneten aber die Zerreißprobe, die eine Debatte und Abstimmung bedeutet, ersparen wollte und stattdessen auf das Eintreten der Diskontinuität zum Ende der Legislaturperiode hoffte – verhindert (dazu auch überzeugend Niclas Stock hier). Wer eine ausführliche Diskussion zu diesem Thema haben wollte, hätte sie jahrelang haben können. Wer aber, wie einige Abgeordnete, einen Gesetzentwurf fünfundzwanzig Mal vertagt und sich anschließend über die große Hektik beschwert, zieht wohl auch im Zug die Notbremse und beschwert sich anschließend über die Verzögerung. Im Zivilrecht nennt man dieses Verhalten Venire contra factum proprium, anderswo schlicht Heuchelei.

Unzulässiger Inhalt?

Man täte den Gegnern des Vorhabens indes unrecht, reduzierte man ihre Bedenken auf diese formale Ebene. Vorgebracht wurde, der Ehebegriff des Grundgesetzes gehe zwingend von der Geschlechterverschiedenheit der Beteiligten aus. Diese gehöre zum Kern der Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG und sei der gesetzlichen Umdefinition nicht zugänglich. Nun ist es zwar so, dass Art. 6 Abs. 1 GG im Gegensatz zu anderen Grundrechten – wie etwa der Meinungs- oder der Versammlungsfreiheit – von vornherein auf gesetzgeberische Ausgestaltung angelegt ist. Parallelen ergeben sich hier etwa zum Eigentumsbegriff des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG. Dass der (durch die Verfassung gebundene) Gesetzgeber also Begriffe der Verfassung ausgestaltet, ist hier nichts Besonderes und führt nicht dazu, dass wir Gefahr liefen, mit einer Umdefinition etwa der Menschenwürde rechnen zu müssen, wie Friehe befürchtet. Doch sind der Legislative dabei in der Tat dort Grenzen auferlegt, wo sie grundlegende Strukturprinzipien der Ehe angreift. Ob die Verschiedengeschlechtlichkeit notwendigerweise ein solches Strukturprinzip darstellen muss, wurde von Mathias Hong und Uwe Volkmann mit guter Begründung bestritten – doch im Kern kommt es für die Frage, ob die „Ehe für alle“ verfassungskonform ist, darauf überhaupt nicht an.

Nochmals: Wie bitte? Es geht aber doch um die Ausgestaltung der Ehe! Nun gut, Kontrollfrage: Was wäre, wenn der Gesetzgeber am Begriff der eingetragenen Lebenspartnerschaft festgehalten hätte, aber ausnahmslos alle Unterschiede zur Ehe mit Ausnahme der Bezeichnung abgeschafft hätte? Verfassungsrechtlich wäre dagegen nichts einzuwenden. Das Bundesverfassungsgericht betont inzwischen in ständiger Rechtsprechung, dass es ein Abstandsgebot, das die Besserstellung von (bis dato verschiedengeschlechtlichen) Ehen im Vergleich zu anderen Formen des Zusammenlebens gebietet, nicht gibt.

Kann nun das Ergebnis der Betrachtung anders ausfallen, weil der Gesetzgeber auch den Begriff der Ehe wählt? Es liegt eher fern, dass die verfassungsrechtliche Beurteilung eines Gesetzes allein von der gewählten Bezeichnung eines Rechtsinstituts abhängen sollte. Näher läge eine dogmatische Differenzierung: Sollte sich das Bundesverfassungsgericht einer Erweiterung des Ehebegriffs auf gleichgeschlechtliche Paare verwehren, wäre dies bedauerlich, weil es diesen den besonderen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG vorenthalten würde. Es führte aber dennoch nicht zur Verfassungswidrigkeit der „Ehe für alle“, sondern schlicht zu einem Auseinanderfallen der bis dahin gleichläufig ausgelegten Begriffe der Ehe im Sinne des BGB und der Ehe im Sinne des Grundgesetzes. Bildlich hat dies Christoph Möllers auf den Punkt gebracht: „Entweder verstehe man den Ehe-Artikel ‚entwicklungsoffen‘. ‚Oder er ist traditionell, dann gebietet er Schutz, aber deswegen keine Schlechterstellung anderer Zweierbeziehungen zwischen Personen.‘“

Fazit – Sprache und Recht

Was bleibt, ist der sprachliche Vorwurf: Eine Ehe sei nun einmal ein Ding zwischen Mann und Frau. Man kann davon persönlich halten, was man will, aber Art. 20 Abs. 3 GG bindet den Gesetzgeber an die Verfassung, nicht an irgendein Sprachgefühl. Müsste er sich an Wörterbücher des 19. Jahrhunderts halten, so wäre die Ehe auch heute noch – wie Ruth Bader Ginsburg es ausdrückte – „a relationship of a dominant male to a subordinate female.“


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