Vor drei Wochen hat in Berlin die JuWiss-Tagung zum Thema “Freihandel vs. Demokratie” stattgefunden. Im Panel “Transnationale Rechtsdurchsetzung, Fachgremien und Gesetzgebungsverfahren: Wo ist der Ort demokratischer Teilhabe?” haben Michael Ioannidis, Henner Gött und Corinna Dornacher mit ihren Beiträgen eine breite Diskussion angestoßen, die mit einem Kommentar Andreas Fisahn eingeleitet worden ist. Wir haben Andreas Fisahn gebeten, seine Gedanken zu dem Diskurs in Thesen zusammenzufassen.
von ANDREAS FISAHN
- Legitimation und Legitimität sind zu unterscheiden. Legitimität bezeichnet das Ergebnis eines erfolgreichen Prozesses der Legitimation, d.h. einen „Zustand“, in dem eine Maßnahme oder ein Handeln als gerecht, richtig, d.h. legitim empfunden wird. Legitimation ist zu verstehen als der Prozess, der am Ende – mit Glück – Legitimität erzeugt. Jemand wird beauftragt, im Namen oder für einen anderen zu handeln. Politische Repräsentation ist die zentrale Erscheinungsform der demokratischen Legitimation – nur kann sie gründlich schief gehen, dann werden die Entscheidungen nicht als legitim empfunden. Bei der Legitimität ist zwischen Output und Input zu unterschieden. Die Legitimation betrifft den Input. Output-Legitmität kann auch durch nicht legitimierte Entscheidungsträger erzeugt werden. Die Konzeption der Demokratie geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit eines legitimen Outputs steigt, wenn auch das Input legitim ist, d.h. wenn die Entscheidungsträger legitimiert wurden.
- Demokratie soll verstanden werden als Rückbindung allgemeinverbindlicher Entscheidungen an die Willensbildung der Adressaten dieser Entscheidungen. Ein Verständnis von Demokratie, das nur auf „ununterbrochene Legitimationsketten“ abstellt, ist zu eng. Um Legitimität des Outputs zu erzeugen, müssen demokratische Prozesse anspruchsvoller sein. Sie müssen deshalb auch anspruchsvoller konzipiert werden und die Willensbildung und -äußerung der Adressaten allgemeinverbindlicher Entscheidungen, d.h. den öffentlichen Diskurs, Formen der Partizipation, in den Prozess der Erzeugung von Legitimität integrieren, d.h. als Form der Legitimation akzeptieren. Dabei erhöht sich die legitimierende Wirkung von diskursiver Partizipation je weiter die Entscheidungsträger von der Willensbildung der Adressaten entfernt sind, also je weniger sie repräsentieren. Partizipation und Deliberation stehen nicht im Widerspruch zur Repräsentation, sondern ergänzen diese und direkte Demokratie kann Repräsentation – in kleinen Einheiten – ersetzen. Transparenz von Entscheidungsprozessen, Dialog und Diskurs gehören insofern in die Konzeption von Demokratie. Aber alleine reichen sie nicht, um die Wahrscheinlichkeit von Legitimität zu erhöhen und Entscheidungsträger zu legitimieren.
- Input-Legitimität oder Legitimation setzt gleiche Beteiligung oder mindestens gleiche Beteiligungsmöglichkeiten voraus. Die zentrale Regel im Bereich der politischen Repräsentation ist das Gebot der Stimmengleichheit im Wahlrecht. Die Ungleichheit der Stimmengewichte erzeugt nach dem modernen Verständnis von Demokratie keine demokratische Legitimation. Partizipation wird zum Lobbyismus, wenn der gleiche Zugang, die gleiche, plurale Beteiligung nicht gewährleistet ist. Die Beteiligung von „Stakeholdern“ ist immer in Gefahr zum Lobbyismus zu werden, weil gleiche Beteiligungschancen nicht garantiert sind. Freihandelsabkommen lassen sich deshalb nicht durch die Beteiligung von Stakeholdern legitimieren. Das gilt in verschärfter Form, wenn dadurch fehlende Repräsentation ersetzt werden soll, d.h. Entscheidungen einer Administration, die – jeweils für den anderen Partner – nicht an die Legitimationskette gelegt ist, verbindlich werden sollen oder parlamentarische Entscheidungen präjudizieren. Wenn nur die Organe der EU über TTIP und CETA beschließen, entsteht ein Defizit demokratischer Legitimation, weil eine wesentliche Entscheidung von Gremium getroffen werden, die erheblich „überföderalisiert“ (BVerfG) sind, d.h. bei denen das Prinzip der Stimmengleichheit nicht gewahrt ist.
- Inzwischen stellt sich die Frage, ob Demokratie eine gleiche Beteiligung und nicht nur gleiche Beteiligungschancen voraussetzt. Die Überrepräsentation bürgerlicher, sozial „gehobener“ Schichten in Partizipationsprozessen unterschiedlicher Form, d.h. von der Bürgerbeteiligung im Verwaltungsverfahren bis zur Volksgesetzgebung, ist ein diskutiertes Phänomen und Problem. Inzwischen sprechen wir auch von einer Krise der Repräsentation, weil Beteiligung nicht mehr stattfindet, weil Wahlenthaltung unübersehbar ist und diese verbunden ist mit dem Gefühl der Nicht-Repräsentation, weil allgemein verbindliche Entscheidungen der Repräsentationsorgane von der Willensbildung in der Gesellschaft (zunehmend?) abweichen.
- Die Rückbindung allgemein verbindlicher Entscheidungen an die Willenbildung der Adressaten ist voraussetzungsreich. Eine der schwierigeren Voraussetzungen betrifft den Entscheidungsmodus also das Mehrheitsprinzip, das voraussetzt, dass die Minderheit die Entscheidungen von Mehrheiten akzeptieren kann. Das kann nur funktionieren, wenn strukturelle Minderheiten ausgeschlossen sind, also Minderheiten zur Mehrheit werden können und Minderheiten grundrechtlich geschützt sind. Das müsste weiter diskutiert werden, kann es an dieser Stelle aber nicht.
- Hier interessiert eine andere Voraussetzung, nämlich die Autonomie der Willensbildung und die Autonomie im Entscheidungsprozess. Anknüpfen lässt sich an Kants Verständnis von Republikanismus[1] als Selbstgesetzgebung. Selbstgesetzgebung hat die Autonomie im ersten Teil des Wortes. Gesetzgebung lässt sich nun – so hat Kant es wohl gemeint – als Rechtsetzung verstehen. Ich schlage einen weiteren Begriff vor. Dann meint Selbstgesetzgebung Autonomie gegenüber heteronomen Gesetzen, die nicht nur Recht umfassen. Natürlich kann sich die Forderung nach Autonomie in der Gesetzgebung nur auf gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten beziehen, nicht etwa auf Naturgesetze. Dann aber meint sie auch Autonomie gegenüber ökonomischen Gesetzen, was man üblicherweise als Primat der Politik gegenüber der Ökonomie bezeichnet. Der normativ verstandene Begriff der Demokratie umfasst das Primat der Politik, d.h. Autonomie der politischen Entscheidungsprozesse. Demokratie hat also neben der prozeduralen eine materiale Dimension. Demokratie als Selbstgesetzgebung steht in einem normativen Widerspruch zur „marktkonformen Demokratie“.
- Autonomie gegenüber den Marktgesetzen wird in einer globalisierten Ökonomie zu einem fundamentalen Problem der Politik. Eine Möglichkeit, diesem Problem entgegen zu wirken, besteht darin, Räume zu vergrößern, also die Politik gleichsam zu „globalisieren“. Die EU war im Ansatz auch ein Projekt, um das Primat der Politik gegenüber einer globalisierten Ökonomie zu sichern bzw. wieder herzustellen und in diesem Sinne ein emanzipatorisches Projekt. Die Festlegung auf den Freihandel unterwirft dagegen die Politik den Marktgesetzen, was auch aus apologetischer Sicht so gesehen wird. Allerdings kann eine autonome Entscheidung auch dazu führen, sich den Marktgesetzen zu unterwerfen. Eine solche Entscheidung muss aber reversibel sein, d.h. sie darf nicht Strukturen zementieren, so dass „andere Mehrheiten“ Schwierigkeiten haben, diese Entscheidung aufzuheben und eine andere Politik zu machen. Freihandelsabkommen schaffen solche Strukturen, insbesondere dann, wenn sie unkündbar sind oder lange Kündigungsfristen haben. Der Investorenschutz soll etwa nach dem CETA-Entwurf auch noch 20 Jahre nach Kündigung des Abkommens gelten.
- Schließlich: Die Politisierung der Zivilgesellschaft hinkt der Globalisierung der Ökonomie und der institutionalisierten Politik hinterher. Allgemein verbindliche Entscheidungen auf diesen Ebenen werden unter diesen Bedingungen notwenig – d.h. aufgrund der strukturellen Bedingungen – nur unzureichend an die Willensbildung der Adressaten zurück gebunden. Das marktradikale Konzept von Ökonomie wird im Ergebnis durch supranationale Institutionen gegen demokratische Willensbildung gepanzert. Das hat Rückwirkungen auf den nationalen, demokratischen Diskurs. Der Eindruck der Alternativlosigkeit verstärkt sich. Demokratie wird entleert, Politik zur hohlen Phrase, die das Publikum erahnt und sich abwendet. Wegen seiner inhaltlichen Reduktion und Redundanz verliert der Output an Legitimität. Freihandel und Demokratie sind ein Widerspruch.
[1] Demokratie war für Kant wegen der aristotelischen Tradition, die Demokratie negativ konnotierte, noch verpönt.