Quantcast
Channel: JuWissBlog
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2369

Der “Fair and Equitable Treatment”-Standard als Demokratieproblem

$
0
0

von ANDREAS KERKEMEYER

kerkemeyer (3)Der Standard der „billigen und gerechten“ Behandlung von ausländischen Investitionen – „Fair and Equitable Treatment“-Standard, kurz: FET-Standard – findet sich in nahezu jedem Investitionsschutzabkommen. Er gehört zu den in Investitionsschutzabkommen geschützten standards of investment protection, bei deren Verletzung ausländische InvestorInnen Staaten vor Investor-Staat-Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen können. Der FET-Standard ist mittlerweile fester Bestandteil in Investor-Staat-Schiedsverfahren. Nicht nur ist er der wohl am häufigsten angeführte Klagegrund (S. 357), nach Angabe der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) rügen auch die meisten erfolgreichen Klagen eine Verletzung des FET-Standards (S. 1).

Die Problematik des FET-Standards ergibt sich aus dem Umstand, dass die betreffenden Klauseln regelmäßig unbestimmt formuliert sind und es deshalb unklar ist, welche Verpflichtungen aus dem Standard resultieren. Deshalb kommt den Investor-Staat-Schiedsgerichten die Aufgabe zu, den FET-Standard zu konkretisieren. Jede Beschreibung der problematischen Aspekte des FET-Standards muss darum an der schiedsgerichtlichen Praxis ansetzen.

Der Schutz der „Stabilität der Rechtsordnung“

In verschiedenen Schiedssprüchen, etwa im Fall Occidental Exploration and Production v. Ecuador oder im Fall Enron v. Argentina, ist von Investor-Staat-Schiedsgerichten anerkannt worden, dass der FET-Standard auch die „Stabilität der Rechtsordnung“ („stability of the legal and business environment“) schützt. Die Überlegung dahinter ist, dass Investitionen, die sich in der Regel durch die langfristige Anlage von Kapital auszeichnen, anfällig für sich ändernde Rahmenbedingungen sind. Die Anforderungen, die aus dem FET-Standard abgeleitet werden, können also weitreichend sein.

Bei der Prüfung der Fallgruppe der „Stabilität der Rechtsordnung“ wird von den Schiedsgerichten darauf abgestellt, ob seitens der Empfangsstaaten die „legitimen Erwartungen“ („legitimate expectations“), die ausländische InvestorInnen zum Zeitpunkt ihrer Investition hatten, frustriert wurden. Die reichlich unbestimmten Rechtsbegriffe „gerecht“ und „billig“ werden so durch den nicht minder unbestimmten Begriff der „legitimen Erwartungen“ ersetzt, was die Prüfung nicht voraussehbarer macht. Dies ist für die InvestorInnenseite von Vorteil, da so der FET-Standard von den angerufenen Schiedsgerichten recht flexibel gehandhabt werden kann. Für das Regulierungsinteresse der betroffenen Staaten ist dieser Ansatz aber problematisch, da auf ihrer Seite eine nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit herrscht. Auch wenn im Laufe der schiedsgerichtlichen Praxis Kriterien entwickelt worden sind, mit denen verhindert werden soll, dass prinzipiell jede legitime Erwartung von ausländischen InvestorInnen geschützt wird – etwa in den Fällen Duke Energy v. Ecuador und Methanex v. United States of America –, ist zu konstatieren, dass von Investor-Staat-Schiedsgerichten das aufseiten ausländischer InvestorInnen bestehende Interesse an der Kontinuität rechtlicher Regelungen prinzipiell als schützenswert anerkannt worden ist. Dies steht offensichtlich in einem Spannungsverhältnis zum demokratischen Prozess, der sich durch einen kontinuierlichen Wandel auszeichnet.

Hinzu kommt die Gefahr, dass demokratisch legitimierte Gesetzgeber, aufgrund der teilweise sehr hohen Schadensersatzzahlungen, zu denen Staaten in Investor-Staat-Schiedsverfahren aufgrund der Verletzung des FET-Standards oder anderer standards of investment protection verurteilt werden, vor dem Erlass neuer oder schärferer Regulierungsmaßnahmen zurückschrecken. Diese Gefahr besteht, wenn entweder in vergleichbaren Fällen schon Staaten wegen vergleichbarer Regulierungen verurteilt worden sind oder ausländische InvestorInnen mit der Erhebung einer Klage vor einem Investor-Staat-Schiedsgericht drohen, um ihnen missliebige Regulierungen zu verhindern (S. 2 f.). Dieses Problem kann als „regulatory chill“ bezeichnet werden.

Von der Kritik am FET-Standard zur Kritik der Investor-Staat-Schiedsverfahren

Es dürfte aber verkürzt sein, nur die Auslegung des FET-Standards durch Investor-Staat-Schiedsgerichte zu kritisieren. Wenn man davon ausgeht, dass mit dem internationalen Investitionsschutzrecht versucht wird, ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse ausländischer InvestorInnen an Investitionssicherheit und dem Regulierungsinteresse von Staaten und supranationalen Organisationen aufzulösen, wird ersichtlich, dass es sich um einen dauerhaften Konflikt handelt. Dieser betrifft regelmäßig auch eine Vielzahl öffentlicher Belange.

Mit den gegenwärtigen Investor-Staat-Schiedsverfahren erscheint es jedoch nur bedingt möglich diesen Konflikt so auszubalancieren, dass auch Belange, die nicht den Schutz von Investitionen betreffen, wie Umweltschutz oder das Regulierungsinteresse, immer hinreichend berücksichtigt werden. Denn bislang stellen Investor-Staat-Schiedsverfahren immer eine Einbahnstraße dar: Klagen dürfen nur InvestorInnen, verklagt werden regelmäßig Staaten. Hinzu kommt die kontrovers diskutierte Praxis der Besetzung der ad hoc gebildeten Schiedsgerichte mit drei SchiedsrichterInnen, die in der Regel auch als AnwältInnen in anderen Investor-Staat-Schiedsverfahren auftreten. Außerdem ist es, wie van Harten (S. 40 f.) betont, für die Unabhängigkeit der SchiedsrichterInnen problematisch, dass diese pro Fall bezahlt werden und bislang  nur InvestorInnen vor Investor-Staat-Schiedsgerichten klagen können.

Es bedarf also neben der Kritik der Auslegung des FET-Standards durch die Schiedsgerichte auch einer Kritik der bisherigen Ausgestaltung der Investor-Staat-Schiedsverfahren. Außerdem erscheint auch die Möglichkeit einer restriktiveren Fassung von FET-Klauseln in Investitionsschutzabkommen nicht als Allheilmittel, um den weiten Anwendungsbereich des FET-Standards wirksam einzuschränken, solange die Investor-Staat-Schiedsverfahren in ihrer bislang üblichen Form beibehalten werden.

Ausblick – Die FET-Klausel im geplanten CETA-Abkommen

Dass FET-Klauseln mitunter Gefahren für das Regulierungsinteresse der Empfangsstaaten ausländischer Investitionen bergen können, wird auch daran deutlich, dass im geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, dem Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA-Abkommen), die entsprechende Klausel eher restriktiv gefasst worden ist. In Art. X.9 (10. Kapitel) CETA-Abkommen wird der Standard durch eine enumerative Aufzählung umschrieben. Ferner werden einige unbestimmte Rechtsbegriffe zur Klarstellung genauer definiert. Zudem ist die Möglichkeit vorgesehen den Standard durch eine interpretative Erklärung des Trade Committee einzuschränken. Er kann aber auch durch eine derartige Erklärung erweitert werden.

In Art. X.9 Abs. 4 (10. Kapitel) CETA, der den Schutz von „legitimen Erwartungen“ aufseiten der InvestorInnen regelt, wird zudem klargestellt, dass diese nur dann geschützt sind, wenn es seitens des Empfangsstaates eine „specific representation“, also eine Art „konkrete Zusicherung“, in Bezug auf die Investition gab. Es ist allerdings recht offensichtlich, dass sich ein wesentlicher Streitpunkt in künftigen Investor-Staat-Schiedsverfahren, die auf der Grundlage des CETA-Abkommens initiiert werden, um die Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs drehen wird. Es bleibt deshalb abzuwarten, wie sich die schiedsgerichtliche Praxis weiterentwickelt.

Der Beitrag ist Teil unseres Online-Symposiums “Freihandel vs. Demokratie 2.0″, das wir zusammen mit dem Völkerrechtsblog organisieren. Parallel zu diesem Post erscheint auf dem Völkerrechtsblog der Beitrag von Thomas Trentinaglia zu “fair and equitable treatment” und Eigentumsschutz.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 2369