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„Verschieberitis“: Verstoß gegen das innerparteiliche Demokratieprinzip?

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Von JENDRIK WÜSTENBERG

In der CDU ist in den letzten Tagen ein politischer Streit über die Verschiebung des Parteitags entbrannt. Die Frage, ob das rechtlich überhaupt möglich ist, wurde dabei medienwirksam vom Kandidaten Friedrich Merz aufgeworfen. Doch wie halten es eigentlich das Grundgesetz und das Parteiengesetz mit der Verlegung von Parteitagen in Pandemiezeiten? Am 4. Dezember wollte die CDU zur Urne schreiten und einen neuen Vorsitzenden wählen. Nach dem Montag letzte Woche stand zunächst wieder alles auf Anfang, der Bundesvorstand hatte die Absage des Parteitags beschlossen und wollte Mitte Dezember neu entscheiden. Zwischenzeitlich haben sich die Kandidaten nun auf einen Termin Mitte Januar verständigt.

Alle zwei Jahre Urnengang – keine Ausnahme

11 Abs. 1 S. 1 PartG regelt: „Der Vorstand wird mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr gewählt.“ Gemäß § 9 Abs. 4 PartG wählt der Parteitag den Vorsitzenden. Die Wahl alle zwei Kalenderjahre ist dabei Ausfluss des Demokratieprinzips, wonach jede Herrschaftsübertragung zeitlich begrenzt ist. Die Bestimmung dient der Verwirklichung und Konkretisierung des Gebots der demokratischen Grundsätzen genügenden innerparteilichen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG.

Die Kommentarliteratur ist sich im Wesentlichen darin einig, dass die Frist von zwei Kalenderjahren „noch als ausreichend“ angesehen werden könne, um diesem verfassungsrechtlichen Gebot zu entsprechen, auch wenn der Regelung bisweilen Kritik entgegengebracht wird, wonach sie insbesondere auf unterer Ebene „Demokratisierungsmöglichkeiten“ ungenutzt lasse (vgl. Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, S. 235; im Ergebnis ähnlich Morlok, PartG Kommentar, 2. Aufl., § 9 Rn. 2). Auch der Gesetzgeber führte in der Begründung zum ersten Entwurf des Parteiengesetzes aus, dass das Intervall von zwei Jahren lediglich „äußerste Grenzen [festlegt], bei deren Überschreitung eine innere demokratische Willensbildung der Partei gefährdet erscheint“ (BT-Drs. III/1509, S. 20). Dieser Einschätzung ist zuzustimmen, stellt sich die innerparteiliche Willensbildung doch gemeinhin als deutlich dynamischer und weniger formalisiert als die Willensbildung in den Parlamenten dar. Entsprechend bedarf es auch einer häufigeren demokratischen Legitimation der verantwortlichen Personen. Satzungsrechtlich dürfen die Parteien freilich kürzere Intervalle festlegen, nur längere sind verboten.

Da die letzten Vorstandswahlen der CDU auf Bundesebene 2018 stattfanden, ist mit Ablauf des 31. Dezember 2020 der Vorgabe des § 11 Abs. 1 S. 1 PartG nicht mehr genügt. Dies gilt selbstredend erst recht in Bezug auf Erwägungen des Parteivorstands der CDU, einen Parteitag nach Ostern 2021 durchzuführen.

Unmöglichkeit der Durchführung wegen der Corona-Pandemie?

Die Frage ist, ob pandemiebedingte Besonderheiten Geltung beanspruchen können, die über den Wortlaut des § 11 Abs. 1 S. 1 PartG hinweghelfen. Die CDU-Parteiführung hat explizit die Corona-Lage als Grund für die Absage angegeben. Im Gesetz finden sich indes keine geschriebenen Ausnahmen, sodass allenfalls ungeschriebene greifen können. Der auch im öffentlichen Recht anerkannte Rechtsgrundsatz ultra posse nemo obligatur, der besagt, dass niemand zu Unmöglichem verpflichtet werden kann, könnte hier eine Verschiebung rechtfertigen. Die aktuellen Corona-Schutzverordnungen, die größere Menschenansammlungen sowie Veranstaltungen verbieten, würden nach dieser Argumentation eine rechtliche Unmöglichkeit begründen, den Parteitag durchzuführen.

Aus der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG und den auf Grundlage von § 32 S. 1 IfSG erlassenen Rechtsverordnungen der Länder lässt sich aber keine Suspendierung des § 11 Abs. 1 S. 1 PartG ableiten. Jedenfalls bzgl. der Kommunalwahlen in Bayern haben Andreas Gietl und Fabian Michl schon im März bei LTO.de deutlich gemacht, dass eine solche Einschränkung bereits normenhierarchisch nicht überzeugt. Auch eine Pandemie begründet keinen Staatsnotstand, der die Weiterarbeit demokratischer Institutionen verunmöglicht. Erst recht in Krisenzeiten muss das Prinzip des Aufbaus der Parteien „von unten nach oben“ (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, 91. EL, Art. 21 Rn. 340) gewahrt bleiben, um das Verfassungsgebot des Art. 21 GG zu verwirklichen. Dies gilt besonders im Hinblick auf anstehende Wahlen im kommenden Jahr, bei denen die Parteien durch die Listen sowie die Kandidatennominierungen für die Wahlkreise eine herausgehobene Rolle spielen. Der legitime Schutz von Leib und Leben darf mit anderen Worten nicht dazu führen, die demokratische Willensbildung einzustellen. Unmöglichkeit liegt vor allem aber deshalb nicht vor, weil Alternativen bestehen.

Durchführung des Parteitags ist auch digital möglich

Bereits im März wurde das Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG) verabschiedet, welches in § 5 Regelungen zu Vereinen trifft. Diese Norm wird in Kürze durch eine Gesetzesänderung noch einmal ausdrücklich auch auf Parteien ausgeweitet. Für Parteien werden im GesRuaCOVBekG Möglichkeiten der zeitlich versetzten Urnen- oder Briefwahl vorgesehen.

§ 5 GesRuaCOVBekG rechtfertigt indes, anders als in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung behauptet wird, keine Verschiebung des Parteitags: Weder in der Ursprungsfassung des § 5 noch in der neuen Fassung ist ersichtlich, dass damit § 11 Abs. 1 S. 1 PartG suspendiert werden sollte und eine Befugnis zur Verschiebung der Vorstandswahlen beabsichtigt war. Die Beschlussempfehlung des Innenausschusses spricht vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber die Durchführung der Parteitage sicherstellen wollte: Darin heißt es nämlich, dass eine „Beeinträchtigung der Gebote der innerparteilichen Demokratie aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 GG in ihrer Konkretisierung durch den Wahlgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Artikel 38 i.V.m. Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 2 GG verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist, solange ein milderes Mittel [gemeint ist die Briefwahl, Anm.d.Verf.] zur Verfügung steht, das die Handlungsfähigkeit der Partei sicherstellt, ohne die Gebote innerparteilicher Demokratie zu verletzen“ (BT-Drs. 19/23197, S. 16).

Einer digitalen Durchführung des Parteitags mit anschließender Briefwahl stünde somit gesetzlich nichts im Wege, zumal der Gesetzgeber sie offensichtlich selbst für verfassungsrechtlich geboten erachtet. Dieser Einschätzung ist zuzustimmen, da die reguläre Vorstandswahl ein Ausfluss der oben erläuterten verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG ist.

Fazit und Konsequenzen

Die nunmehr erfolgte Verschiebung auf den Januar 2021 dürfte in Anbetracht der Herausforderungen bei einer pandemiegerechten Umsetzung gerade noch einfach- und verfassungsrechtlich vertretbar sein, da die Überschreitung unwesentlich ist. Die zunächst erwogene Verschiebung der Entscheidung auf Januar und eine Durchführung ggf. erst nach Ostern hätte jedoch § 10 Abs. 1 S. 1 PartG verletzt. Dann wäre auch ein Verstoß gegen das Erfordernis der demokratischen Grundsätzen entsprechenden inneren Ordnung von Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 3 GG zu bejahen gewesen, wenn man der überzeugenden Auffassung folgt, dass das Intervall von zwei Kalenderjahren die längst mögliche von Verfassungs wegen vertretbare Frist darstellt. Zudem hätte ein Satzungsverstoß vorgelegen, da § 28 Abs. 4 S. 1 CDU-Statut den Bundesvorstand zu einer Einberufung alle zwei Jahre verpflichtet. Die Delegierten, zu denen auch die drei Kandidaten gehören, hätten eine Entscheidung zur langfristigen Verschiebung anfechten und eine zeitnahe Durchführung des Parteitags erzwingen können. Hierfür ist das Bundesparteigericht der CDU gem. § 14 Abs. 1 Nr. 5 Parteigerichtsordnung der CDU zuständig. Ob auch einfache Mitglieder in solch einem Fall antragsbefugt wären, ist bislang nicht geklärt (gegen das Erfordernis einer Organmitgliedschaft in Bezug auf Wahlen: BGH, Urt. v. 17. Dezember 1973 – II ZR 47/71 –, juris, Rn. 10; für ein solches Erfordernis: Schwennicke, in: Staudinger (2019), BGB § 32 Rn. 19), bedarf hier aber keiner Entscheidung.

 

Zitiervorschlag: Jendrik Wüstenberg, „Verschieberitis“: Verstoß gegen das innerparteiliche Demokratieprinzip?, JuWissBlog Nr. 128/2020 v. 04.11.2020, https://www.juwiss.de/128-2020/.

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