von FREDERIK FERREAU
2013 hat der auf Wohnungen, Betriebsstätten und Kraftfahrzeuge anwendbare Rundfunkbeitrag die gerätebezogene Rundfunkgebühr abgelöst. Und seitdem sind Legionen von Juristen damit beschäftigt, die Rechtmäßigkeit des neuen Rundfunkbeitragsstaatsvertrags zu klären. Vier Urteilsverfassungsbeschwerden mündeten nun in einem Urteil des BVerfG über dessen Verfassungsmäßigkeit. Eine Prima facie-Würdigung.
Der Rundfunkbeitrag (dazu bereits Geuer, JuWissBlog v. 28.2.2013 und Eggerath, JuWissBlog v. 20.5.2014) dient ganz überwiegend der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Nicht jeder nutzt dessen Angebote. Und diejenigen, die es tun, sind oftmals mit dem Dargebotenen unzufrieden und es daher leid, 17,50 € monatlich für eine aus ihrer Sicht inadäquate Gegenleistung zu zahlen. Angesichts dessen gilt vorab festzuhalten, was nicht Gegenstand des Urteils gewesen ist: Es ging nicht um die Qualität der Öffentlich-Rechtlichen oder den Umfang ihrer Angebote. Auch die Notwendigkeit einer (staats- und gruppenfernen) Finanzierung der Rundfunkanstalten sowie die Höhe des Rundfunkbeitrags (zu beidem Ferreau, JuWissBlog Nr. 10/2014) waren nicht zu überprüfen. Entschieden wurde einzig über die Frage, wer aufgrund welcher Merkmale zur Zahlung verpflichtet ist. Und das Gericht hatte bei der mündlichen Verhandlung darauf bestanden, den Fokus auf die finanzverfassungs- und abgabenrechtlichen Fragen zu legen und nicht in medienpolitische Ausführungen abzuschweifen.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Zeiten von Fake News und Filterblasen
Allerdings hat sich das Gericht selbst nicht ganz an seine Vorgabe gehalten. Denn es trifft bemerkenswerte Aussagen zur generellen Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bereits seit dem „zweiten Gebührenurteil“ betont das BVerfG, die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung der Rundfunkordnung – Staats-/Gruppenferne, Vielfalt und sachlich-ausgewogene Berichterstattung – seien nicht durch das Internet obsolet geworden. Diese Auffassung bekräftigt das Gericht nun mit jüngste Entwicklungen im Online-Bereich aufgreifenden Argumenten: So bestehe die Gefahr, dass (mittels Algorithmen) Inhalte gezielt auf Nutzerinteressen zugeschnitten werden, was zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führe. Zudem träten verstärkt nicht-publizistische Anbieter ohne journalistische Zwischenaufbereitung auf. (Rn. 79).
„Dies alles führt zu schwieriger werdender Trennbarkeit zwischen Fakten und Meinung, Inhalt und Werbung sowie zu neuen Unsicherheiten hinsichtlich Glaubwürdigkeit von Quellen und Wertungen.“ (Rn. 80).
Damit sind die derzeit geradezu inflationär gebrauchten Schlagwörter „Fake News“ und „Filter bubbles“ der Sache nach auch in Karlsruhe angekommen. Das Gericht leitet daraus normative Folgerungen ab:
„Angesichts dieser Entwicklung wächst die Bedeutung der dem beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk obliegenden Aufgabe, durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darzustellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund zu rücken, vielmehr ein vielfaltssicherndes und Orientierungshilfe bietendes Gegengewicht zu bilden.“ (Rn. 80 des Urteils).
Versteckt sich dahinter ein an die Medienpolitik adressiertes obiter dictum? Ist etwa mit „wachsender Bedeutung der Aufgabe“ gemeint, dass der Rundfunkgesetzgeber den Anstalten kein enge(re)s Korsett im Online-Bereich anlegen darf? Jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass sich die Richter derart äußern, ohne dabei die aktuellen Debatten über die Zukunft des Online-Auftrags der Anstalten – etwa bezüglich des Verbots presseähnlicher Angebote – im Hinterkopf zu haben.
Finanzverfassungsrechtliche Einordung: Nicht Steuer, sondern Beitrag
In formeller-verfassungsrechtlicher Hinsicht bleibt das Gericht ganz auf der Linie der fachgerichtlichen Rechtsprechung. Bei dem Rundfunkbeitrag handele es sich nicht um eine gegenleistungslos zur Finanzierung allgemeiner Staatsaufgaben erhobene Steuer, für welche der Bund gemäß Art. 105 Abs. 2 GG die Kompetenz besäße, sondern um eine nichtsteuerliche Abgabe in Form eines Beitrags, welche die Länder als Ausfluss zu ihrer Rundfunk-Gesetzgebungskompetenz erheben dürfen.
Die für eine Qualifizierung als nichtsteuerliche Abgabe notwendige Individualisierbarkeit der öffentlichen Leistung soll nicht dadurch ausgeschlossen sein, dass die öffentlich-rechtlichen Angebote neben dem individuellen Vorteil für die Nutzer auch eine objektive Funktion für den gesamtgesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess erbringen (Rn. 74 ff.). Genau hierauf stützen die Kritiker ihre finanzverfassungsrechtlichen Bedenken: Eine allgemeine Staatsaufgabe müsse aus dem allgemeinen Staatshaushalt (der Länder) finanziert werden. Dieses Argument bleibt nach wie vor valide, zumal der gegen eine Haushaltsfinanzierung erhobene Einwand der Unvereinbarkeit mit dem Staatsfernegebot nicht überzeugt. Denn sofern der Finanzbedarf der Anstalten weiterhin „staatsunabhängig“ ermittelt würde und dem Haushaltsgesetzgeber – wie aktuell dem Rundfunkgesetzgeber – kaum Spielraum zu Abweichungen verbliebe, wäre das Gebot erfüllt. Es bliebe folglich dem Rundfunkgesetzgeber prinzipiell möglich, eines (fernen) Tages die Rundfunkfinanzierung entsprechend zu reformieren.
Belastungsgleichheit trotz unterschiedlicher Nutzungsintensität
Auch in materiell-verfassungsrechtlicher Hinsicht hält das BVerfG den RBeiStV dem Grunde nach für verfassungskonform. Sedes materiae bildet der Art. 3 Abs. 1 GG entnommene Grundsatz der Belastungsgleichheit im Abgabenrecht: Danach muss die Differenzierung zwischen Abgabenpflichtigen und nicht Pflichtigen anhand der Nähe zur Vorteilsmöglichkeit erfolgen.
Für den privaten Bereich – welcher vorliegend primär behandelt wird – prüft das Gericht, ob die Anknüpfung der Beitragspflicht an das Innehaben einer Wohnung (§ 2 RBeiStV) diesem Grundsatz gerecht wird. Es stellt eine Ungleichbehandlung von Mehrpersonen- und Single-Haushalten fest. Denn es könne nicht auf eine weitgehend gleich intensive Nutzungsmöglichkeit bei Single- und Mehrpersonen-Haushalten abgestellt werden:
„Näher liegt vielmehr die Annahme, dass Haushalte (…) das Rundfunkangebot umso stärker konsumieren, je mehr Personen sie fassen“ (Rn. 101).
Doch anstatt diesen plausiblen Gedanken weiter zu spinnen, rechtfertigt das Gericht die Ungleichbehandlung anschließend mit dem knappen Hinweis auf den gesetzgeberischen Spielraum, welcher ihm die Privilegierung von Mehrpersonenhaushalten erlaube (vgl. Rn. 104).
Diese Ausführungen zeugen vom Bemühen, mit dem Anknüpfungsmerkmal „Wohnung“ einen Eckpfeiler des Beitragsmodells zu „retten“. Faktische Entwicklungen wie die fortschreitende mobile und individualisierte Mediennutzung – welche sich in Mehrpersonenhaushalten entsprechend addiert – bleiben bei der Bewertung außen vor. Zumindest rechtspolitisch erscheint daher das Modell einer Pro-Kopf-Rundfunkabgabe vorzugswürdig. Sehen das die Karlsruher Richter klammheimlich auch so? Oder weshalb erteilen sie en passant und ohne Veranlassung einer Pro-Kopf-Abgabe das verfassungsrechtliche Placet (vgl. Rn. 88)?
Hinzu kommt, dass die Bewertung der Beitragserhebung im privaten Bereich im Widerspruch zur Wertung im nicht-privaten Bereich zu stehen scheint: Dort rechtfertigt das Gericht die an die Anzahl der Mitarbeiter pro Betriebsstätte anknüpfende Beitragsprogression in § 5 Abs. 1 RBeiStV mit dem Anstieg des Vorteils für den Betriebsinhabers bei zunehmender Beschäftigtenzahl (vgl. Rn. 122). Hier soll der Vorteil also mit der Anzahl potenzieller Nutzer steigen – was für den privaten Bereich noch abgelehnt wurde. Eine Rechtfertigung gelingt nur mit Verweis auf den abgabenrechtlichen Typisierungsspielraum des Gesetzgebers. Da jedoch Modellinkonsistenzen einen Gleichheitsverstoß indizieren (vgl. BVerfGE 124, 199, 223), hätte die unterschiedliche normative Behandlung von privater und nicht-privater Nutzung näher untersucht werden müssen.
Zweitwohnungsbesitzer atmen (etwas) auf
Nicht mehr zu halten war dagegen die Erhebung des Beitrags für Zweitwohnungen (vgl. Rn. 106 ff.). Denn wenn der Gesetzgeber schon die Beitragspflicht an die aus seiner Sicht typische Rundfunknutzung in der Wohnung abstellt, wird er eingestehen müssen, dass ein Inhaber zweier Wohnungen schwerlich in beiden Wohnungen gleichzeitig Rundfunkangebote rezipieren kann. Für den privaten Bereich gilt demnach: Pro Kopf maximal ein Rundfunkbeitrag.
Allerdings hat das Gericht § 2 Abs. 1 RBeiStV insoweit nur für verfassungswidrig und nicht für nichtig erklärt, weil dann möglicherweise rückwirkend geltend gemachte Erstattungen die Finanzierung der Rundfunkanstalten gefährdeten (Rn. 153). Dies wirft indes die Frage auf, ob verfassungswidrige Regelungen tatsächlich zu Lasten der Betroffenen gehen müssen, wenn doch die Mehraufwendungen für die Rückerstattungen bei der nächsten Bedarfsermittlung zugunsten der Anstalten eingepreist werden könnten. Der Gesetzgeber muss bis zum 30.6.2020 eine Neuregelung treffen; bis dahin können sich Betroffene immerhin vom Zweitwohnungsbeitrag befreien lassen (Rn. 150).
Die Geschichte endet in Luxemburg
Schließlich prüft das Gericht, ob die angegriffenen BVerwG-Entscheidungen gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verstoßen, weil auf eine Vorlage zum EuGH zur Überprüfung der Vereinbarkeit des RBeiStV mit dem EU-Beihilfenrecht verzichtet wurde. Hintergrund ist der vor den Fachgerichten erhobene Einwand, die Umstellung von Rundfunkgebühr auf Rundfunkbeitrag habe eine „neue Beihilfe“ eingeführt, die gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV zu notifizieren gewesen sei. Das BVerfG legt ausführlich dar, weshalb das BVerwG in vertretbarer Weise davon ausgehen konnte, der Rundfunkbeitrag modifiziere lediglich eine bestehende Beihilfe und begründe keine neue Beihilfe (vgl. Rn. 145 ff.).
Genau diese Frage ist allerdings nun doch noch beim EuGH (Rs. C-492/17) gelandet. Hierfür hat das LG Tübingen mit einer Vorlage in einem Vollstreckungsverfahren gesorgt. Und so überzeugend die Argumentation von BVerfG und BVerwG auch ist, so wenig bindend ist sie für den EuGH.
Das allerletzte Kapitel von der „unendlichen Geschichte des Rundfunkbeitrags“ konnte das BVerfG also noch nicht schreiben. Dies bleibt den Richtern in Luxemburg vorbehalten.
Zitiervorschlag: Ferreau, Das Urteil zum Rundfunkbeitrag – (fast) das Ende einer unendlichen Geschichte, JuWissBlog Nr. 70/2018 v. 19.7.2018, https://www.juwiss.de/70-2018/
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