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Warum Räte zu Freihandelsabkommen nicht schweigen müssen

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von FOLKE GROßE DETERS

grosseDeters_FolkeDie Falle ist jedem Juristen seit dem Studium bekannt. Man meint, „das Problem“ des Falles zu kennen und schreibt genau deshalb am konkreten Fall vorbei. In diese Falle tappte jüngst, so scheint mir, der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, als er sich mit der Frage befasste, ob und inwieweit Räte sich zu geplanten Freihandelsabkommen wie TTIP und CETA äußern dürfen.

Etwas verkürzt ging der Gedankengang so: Der Abschluss internationaler Verträge liegt in der Zuständigkeit des Bundes und ist damit für die Kommunen eine allgemeinpolitische Frage. Und schon wurde Bezug aufgenommen auf das scheinbar einschlägige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 87, 228), das den Kommunen das Recht zu allgemeinpolitischen Äußerungen absprach. Dieses Urteil erging im Jahr 1990 zu einem Beschluss des Kreisverwaltungsausschusses der Stadt München, in welchem das Stadtgebiet zur „atomwaffenfreien Zone“ erklärt wurde. Darin betonte der Senat, dass der Verweis in Artikel 28 Abs. 2 Grundgesetz auf die „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ auch eine kompetenzbegrenzende Funktion hat. Will sich ein Rat zu einer Angelegenheit außerhalb der Entscheidungskompetenz der Gemeinde äußern, so muss für eine Befassungskompetenz zumindest ein „spezifischer Ortsbezug“ gegeben sein. So darf ein Rat nicht gegen atomare Bewaffnung im Allgemeinen Stellung beziehen, aber er kann sich gegen die Stationierung von Atomwaffen auf dem eigenen Gemeindegebiet wenden.

Wendete man diese Kriterien auf eine mögliche Befassungskompetenz der Räte zu TTIP und CETA an, so sähe es düster aus für die vielen Rats-Resolutionen. Die Verträge sind von einer Ratifikation noch weit entfernt, besondere Auswirkungen auf einzelne Gemeinden sind schwer absehbar. Wenn nicht gerade ein kanadischer Investor, der auf dem Gemeindegebiet ansässig ist, schon jetzt eine Klage vor einem Schiedsgericht unmittelbar nach Inkrafttreten von CETA ankündigt, ist ein spezifischer Ortsbezug nur schwer zu konstruieren.

Faktische oder rechtliche Betroffenheit?

Die gute Nachricht für betroffene Räte: Die Kriterien aus dem genannten Urteil passen nicht auf unseren Fall. Es besteht nämlich ein Unterschied, ob Gemeinden durch Maßnahmen anderer Stellen nur faktisch oder auch rechtlich betroffen sind.

Sachgerecht ist, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine irgendwie geartete faktische Betroffenheit von Maßnahmen anderer Verwaltungsträger nicht ausreicht, um eine Befassungskompetenz von Räten zu begründen. Denn eine solche liegt mittelbar oder unmittelbar fast immer vor (ein Atomkrieg beträfe auch das Münchener Stadtgebiet, aber eben auch alle anderen Städte und Gemeinden). Hier hilft das Kriterium der spezifischen Ortsbezogenheit, die Meinungsfreude von Räten zu begrenzen.

Anders aber, wenn die Kommunen durch einen Akt öffentlicher Gewalt nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich betroffen sind. Die meisten Rats-Resolutionen zu TTIP und CETA richten sich gegen Einschränkungen der kommunalen Daseinsfürsorge oder Beschränkungen bei der Vergabe von Aufträgen. Sie richten sich auch gegen Investitionsschutz-Sondergerichte, mit denen Konzerne die planerischen Entscheidungen der Gemeinde überspielen können. So besteht die Gefahr, dass Bebauungspläne als „indirekte Enteignung“ qualifiziert werden und Entschädigungsansprüche auslösen.

Alle diese Punkte tangieren das verfassungsrechtlich garantierte Selbstverwaltungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz und die entsprechenden Gewährleistungen in den Landesverfassungen (zum Beispiel Art. 78 Landesverfassung Nordrhein-Westfalen). In Rede steht das „Ob“ wie auch das „Wie“ der gemeindlichen Aufgabenerfüllung. Beides fällt in den Schutzbereich der Norm.

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht ist nicht allgemeinpolitisch

Sobald eine Angelegenheit die Stellung der Kommunen im Staat und ihr Selbstverwaltungsrecht betrifft, ist sie nicht mehr allgemeinpolitisch. Diese Sichtweise entspricht der politischen Praxis in den Räten. Resolutionen etwa zur Finanzausstattung der Kommunen sind Legion. Sähe man dies anders, dürfte auch die Mitgliedschaft von Städten und Gemeinden in den kommunalen Spitzenverbänden unzulässig sein. Diese fungieren in allererster Linie als „Interessenvertreter“ der Kommunen auf höheren Ebenen. Wäre ihre Tätigkeit allgemeinpolitischer Natur, müsste eine Mitgliedschaft von Kommunen als Umgehung des Verbotes allgemeinpolitischer Äußerungen gewertet werden.

Vor diesem Hintergrund überzeugt die Unterscheidung des wissenschaftlichen Dienstes nicht. Er sieht nicht die Verträge selber, wohl aber „etwaige Entscheidungen, die als Folge von Freihandelsabkommen auf dem Gebiet der kommunalen Aufgabenwahrnehmung zu treffen sind“, als zulässige Gegenstände politischer Erörterung in den Räten an (S. 7).

Die Artikulation kommunaler Interessen erst dann beginnen zu lassen, wenn die völkerrechtliche Verpflichtung bereits besteht und das Kind in den Brunnen gefallen ist, erscheint aber wenig sachgerecht. Zudem sind jedenfalls die Investitionsschutznormen sofort mit Ratifikation des Vertrages justiziabel, wenn – wie bei CETA und TTIP geplant – Sondergerichte für Investoren installiert werden.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Resolutionen gegen Freihandelsabkommen zulässig sind, solange sie Belange der kommunalen Selbstverwaltung adressieren und keine allgemeinpolitische Stoßrichtung haben. Bei der Beurteilung konkreter Texte dürfte aus Gründen der Verhältnismäßigkeit darauf abzustellen sein, ob ein eindeutiger Schwerpunkt auf diesen kommunalen Belangen liegt. Demgegenüber dürfte es unverhältnismäßig sein, eine Resolution etwa wegen eines einzigen Satzes mit allgemeinpolitischem Inhalt gleich in toto als rechtswidrig zu beanstanden.

 


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