von SÖNKE E. SCHULZ
Als bekennender Verwaltungsmodernisierungs- und E-Government-Enthusiast muss man sich dieser Tage eigentlich freuen. Fast jeden Monat ein neuer Gesetzesentwurf, der sich mit der elektronischen Kommunikation mit staatlichen Stellen befasst. Da gibt es den Diskussionsentwurf des BMJ für ein Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen, den Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung sowie zur Änderung weiterer Vorschriften und schließlich den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten. Jeweils gibt es auch Regelungen, die sich mit der Zukunft des elektronischen Zugangs zu Gerichten und zur Verwaltung befassen – die Schriftformäquivalenz elektronischer Medien ist endlich (wieder) Gegenstand einer breiteren Diskussion.
Dies wäre eigentlich begrüßenswert, ist es doch gerade die qualifizierte elektronische Signatur bzw. deren fehlende Verbreitung, die sowohl der elektronischen Gerichtskommunikation (mit Ausnahme derjenigen von Notaren und Anwälten, für die mit dem EGVP eine funktionsfähige “Insellösung” existiert) als auch der elektronischen Verwaltungskommunikation bisher entgegensteht.
Fehlende Abstimmung der Gesetzesentwürfe
Wäre da nicht ein wesentliches Defizit: die fehlende Kohärenz der nun vorliegenden Entwürfe. Es bleibt zu hoffen, dass das parlamentarische Verfahren zu einer stärkeren Abstimmung der Regelungen zur Schriftformäquivalenz führt. Weitergehend bedürfte es eigentlich einer grundsätzlichen Diskussion der Voraussetzungen und Vorgaben für die elektronische Staatskommunikation. Zielsetzung müsste es sein, den Zugang zu allen staatlichen Stellen (weit verstanden) einheitlich auszugestalten – wie sich auch die klassische Briefpost gerade dadurch auszeichnet, dass sie ein universell einsetzbares Medium zur rechtverbindlichen Kommunikation ist.
Davon sind die Entwürfe allerdings derzeit noch entfernt: Im Verwaltungsverfahren sollen zukünftig auch die De-Mail und Webservices unter Nutzung des neuen Personalausweises als Schriftformersatz zum Einsatz kommen. Im nachgelagerten verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind es dann auf einmal neben De-Mail und EGVP auch “sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, … bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind” (§ 55a VwGO-E). Der neue Personalausweis findet hingegen keine Erwähnung. Gleiche Regelungen finden sich für die anderen gerichtlichen Verfahren und die jeweiligen Prozessordnungen – mit einer Ausnahme: die elektronische Kommunikation in Strafsachen geht wiederum einen Sonderweg. Inhaltlich sind die Unterschiede marginal – warum aber ein im Detail abweichender Wortlaut gewählt wird, bleibt unerklärlich.
§ 55a Absatz 4 VwGO-E
Sichere Übermittlungswege sind
1. der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
2. der Übermittlungsweg zwischen dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nach § 31 Absatz 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
3. sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
§ 32a Absatz 3 StPO-E
Sichere Übermittlungswege sind
1. der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt
2. bundeseinheitliche Verfahren, die den Einsatz eines offenen Protokollstandards zur vertraulichen und sicheren Übermittlung von Nachreichten und eines sicheren Verzeichnisdienstes vorsehen, sowie
3. sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet werden und im Falle der Nutzung allgemein zugänglicher Netze ein Verschlüsselungsverfahren angewendet wird, das die Vertraulichkeit der übermittelten Daten sicherstellt.
Fehlende Technologie- und Zukunftsoffenheit
Und es existieren weitere Kritikpunkte. Zunächst die fehlende Technologie- und Zukunftsoffenheit zumindest derjenigen Entwürfe, die ausschließlich auf die De-Mail oder den elektronischen Personalausweis setzen. Der elektronische Identitätsnachweis gerät derzeit – wenn auch zu Unrecht (siehe MMR-Editorial 10/2012) – aufgrund des Entwurfes für eine Verordnung über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt unter europäischen Druck. Derartige Entwicklungen zeigen die fehlende Möglichkeit, sichere Zukunftsprognosen zu geben – vom technologischen Fortschritt einmal ganz abgesehen. Ähnlich die Situation bei der De-Mail: deren Verbreitung und Akzeptanz erscheint derzeit nicht gesichert. Insofern ist eine Entwicklung wie bei der qualifizierten elektronischen Signatur nicht auszuschließen. Man mag das “Henne-Ei-Problem” beklagen (vgl. dazu jüngst einen Bericht von CSC und dem ifib Bremen zum neuen Personalausweis), ändern kann man es nur, wenn Basisinfrastrukturen geschaffen werden, die optimalerweise für E-Commerce und E-Government (im weiten Verständnis) gleichermaßen geeignet sind und den Aspekt der Usability nicht vernachlässigen.
Wesentliche Schriftformfunktionen müssen und können gewahrt bleiben
Hinzu kommt, dass für die rechtssichere Kommunikation bereits heute Alternativen bereit stehen, die auch ohne De-Mail-Akkreditierung die relevanten Sicherheits- und Vertraulichkeitsanforderungen erfüllen. Besinnt man sich auf die Funktionen der Schriftform, müssten eigentlich alle Dienste anerkannt werden, die einerseits sicherstellen können, dass diejenige Person, die als Absender nach außen erscheint, auch tatsächlich Absender und sicher identifizierbar ist. Andererseits muss eine Veränderung des Nachrichteninhalts während des Übermittlungsprozesses mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen sein. Dass sich diese Sichtweise auch in Gesetzesform gießen lässt, zeigen die Entwürfe des Bundesjustizministeriums: Abzustellen ist auf Übermittlungswege, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten gewährleistet und … Verschlüsselungsverfahren angewendet werden, die die Vertraulichkeit der übermittelten Daten sicherstellen. Diese Regelungsentwürfe sollten daher Grundlage der weiteren Diskussion sein.
Papier oder elektronische Kommunikation als Ausgangspunkt?
Und schließlich sei ein letzter Punkt in die Diskussion eingebracht, der – soweit ersichtlich – bisher kaum diskutiert wird: Alle Regelungen basieren auf dem Grundgedanken, die herkömmliche schriftliche Kommunikation sei der Ausgangspunkt, der Normallfall, die Basis staatlicher Kommunikation, auf deren Bedürfnisse die elektronische Kommunikation angepasst werden müsse. Man formuliert bestimmte Bedingungen, um Schriftformäquivalenz zu erreichen – ohne sich der Funktionen bewusst zu werden, die es zu verwirklichen gilt. Mittlerweile erscheint die umgekehrte Sichtweise ebenso gerechtfertigt: die elektronische Kommunikation ist der Normalfall, das elektronische Dokument das Original usw. Dies würde den Blick für die jeweils relevanten Rechtsprinzipien öffnen – Schriftform ist kein Selbstzweck, sondern erfüllt rechtsstaatliche Grundsätze. Lassen sich diese auch im elektronischen Kontakt verwirklichen, kann es auf eine (anderweitige) Vergleichbarkeit mit schriftlichen Dokumenten, mit den Bildern und der Vorstellungswelt der schriftlichen Verwaltung nicht mehr ankommen.