von SÖNKE E. SCHULZ
In zahlreichen Diskussionen zur wechselseitigen Beeinflussung von IT einerseits und Politik und Verwaltung andererseits wird das Ressortprinzip des Art. 65 GG als maßgeblicher rechtlicher Faktor genannt. Was haben IT und Ressortprinzip miteinander zu tun: Ist das Ressortprinzip wirklich der Grund, der eine verstärkte Staats- und Verwaltungsmodernisierung scheitern lässt oder einer in sich stimmigen Betrachtung des neuen Themenfeldes „Netzpolitik“ entgegensteht? Wie so oft bedarf es einer differenzierten Betrachtung: Abzugrenzen sind Themenfelder, bei denen sich die Ministerien zu Unrecht auf die Ressorthoheit berufen, von solchen, wo IT und ministerielle Aufgabe so verbunden sind, dass eine getrennte Betrachtung das Ressortprinzip tatsächlich beeinträchtigen würde.
Ursprüngliche Funktion des Ressortprinzips
Das Ressortprinzip war Bestandteil der Stein-/Hardenbergschen Reformen im 19. Jahrhundert und hat einen maßgeblichen Beitrag zur erfolgreichen Modernisierung der Preußischen Verwaltung geleistet. Sinn und Zweck liegen zum einen darin, Verantwortung festzulegen und zu ermöglichen, insbesondere gegenüber dem Parlament. Zum anderen dient das Ressortprinzip dazu, die Regierungs- und Verwaltungsgeschäfte unter Wahrung der Einheit des Staates effektiv und effizient wahrzunehmen. Das Ressortprinzip soll also Arbeitsteilung, institutionelle Verflechtung und Koordination gewährleisten.
Trotz dieser zugedachten Koordinierungsfunktion erweist sich das Ressortprinzip als Hemmschuh bei Verwaltungsreformen, wenn diese – was in der Regel zwingend erforderlich ist – ressortübergreifend betrieben werden. Das Ressortprinzip auf Regierungsebene und oftmals zu starr gehandhabte Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen verhindern ganzheitliche Reformen. Insbesondere die weitreichende Auslegung des verfassungsrechtlich abgesicherten Ressortprinzips führt in der politischen Praxis zur Segmentierung fachlich zusammengehöriger Reformschritte.
IT als Arbeitsunterstützung
Elektronisch unterstützte Verwaltungsaufgaben und -reformen beschreiben allerdings nur einen Aspekt der zunehmenden Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechnologien – nämlich das Themenfeld „E-Government“ und damit die Einordnung von IT als Infrastruktur, als Unterstützungsleistung für die Wahrnehmung der eigentlichen Staats- und Verwaltungsaufgaben. IT dient der Arbeitsunterstützung, schafft gemeinsame Strukturen zur Aufgabenerledigung auf elektronischer Grundlage und Austauschstandards, die es der Verwaltung erst ermöglicht, zu kooperieren und sich zu koordinieren. Dieser Teilbereich ist nicht der Ressorthoheit zuzuordnen – zentrale Strukturen mit einer einheitlichen Entscheidungskompetenz, bspw. angesiedelt bei einem Chief Information Officer (CIO), der den Namen aufgrund seiner Durchgriffsrechte gegenüber anderen Ressorts auch verdient, stehen nicht in Konflikt mit Art. 65 GG.
IT als Politikthema
Ein ganz anderer Bereich ist aber angesprochen, wenn man sich der IT als Politikthema nähert. Die „Netzpolitik“ ist kein Nischenthema mehr – die aktuellen Diskussionen zur Netzneutralität, zu staatlichen Überwachungsprogrammen etc. zeigen dies überdeutlich. Allerdings sind es gerade auch keine abgeschlossenen „IT-Themen“, vielmehr geht es um gesamtgesellschaftliche Fragestellungen mit weitreichenden Auswirkungen auf zahlreiche andere Politikbereiche. Insofern ist es zutreffend, wenn der CSU-Netzrat die Netzpolitik als Bildungspolitik, als Familien- und Jugendpolitik, als Haushaltspolitik, als Wirtschaftspolitik beschreibt. Dies zeigt: Es geht um inhaltliche Gestaltung, um das Kernelement der Ressorthoheit, diese Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen und zu verantworten. Insofern gehören IT und Ressortprinzip zusammen. Was das Themenfeld aber keineswegs vereinfacht, ist die Netzpolitik doch eine typische Querschnittsmaterie, die die Zuordnung zu einem Ressort erschwert. Weder das Wirtschaftsressort noch das Innenministerium können das Thema für sich allein beanspruchen. Vergleichbar sind die Politikbereiche der Gleichstellungs- und Umweltpolitik, ebenso wie die Demografie- und Mobilitätspolitik. Eine Koordinierung der Aktivitäten aller Ressorts im Bereich Netzpolitik wäre wünschenswert – auf diese Rolle wäre ein ggf. nach der Bundestagswahl erstmals zu ernennender Internetminister wohl aber auch beschränkt.
Der IT-Planungsrat zwischen politischer Steuerung und administrativem „Kleinklein“
Erweitert man den Blick über die Bundesebene hinaus, bedarf es einer weitergehenden Abstimmung hinsichtlich der genannten Fragen – sowohl bei der IT als Arbeitsunterstützung als auch bei der IT als Politikfeld. Mit dem IT-Planungsrat existiert zwar ein Gremium, das IT im Namen trägt und der Abstimmung zwischen Bund und Ländern dient. Allerdings wird am IT-Planungsrat die aufgezeigte Vielgestaltigkeit des Themas deutlich. Sieht man sich den verfassungsrechtlichen Ursprung von Art. 91c GG (Verwaltungszusammenarbeit) und dessen Wortlaut (geht es doch um die „für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme“) sowie die Aufgaben nach dem IT-Staatsvertrag näher an, bleibt sein Handeln auf die IT als Arbeitsunterstützung beschränkt. Dies ist aber nur zielführend, wenn alle im IT-Planungsrat vertretenen CIOs über Kompetenzen auf diesem Feld verfügen. Nicht nur, dass dies nicht immer gewährleistet ist; in umgekehrter Zielrichtung verfügen einige Vertreter im IT-Planungsrat über eine erweiterte Themenstellung und versuchen den IT-Planungsrat auch zu einem „politischen Gremium“ zu machen, in dem auch die IT als Politikfeld diskutiert wird. Diese Rolle käme perspektivisch eher einer Fachministerkonferenz der für die „Netzpolitik“ bzw. der für „das Internet“ zuständigen Minister zu.
Strukturen und Organisationen folgen der Aufgabe
Die derzeitige Übergangssituation, geprägt durch Beharrungskräfte, schwierige Abgrenzungsfragen im Detail, aber auch eine große Motivation, sich der neuen, gesellschaftlich wichtigen Themen anzunehmen, ist daher völlig normal. Neue Aufgaben erfordern neue Strukturen, Abläufe und Prozesse. Diese zu etablieren, bedarf eines Austarierens der gegenläufigen Interessen. Die beschriebene differenzierte Einordnung der IT mag helfen, berechtigten Befürchtungen des Verlusts von Aufgaben und Kompetenzen entgegenzuwirken. Sie beansprucht im Übrigen nicht nur Geltung innerhalb einer staatlichen Ebene, sondern in gleicher Weise für die Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern (Stichwort: Föderalismus) und zwischen Ländern und Kommunen (Stichwort: Selbstverwaltung).